Die in § 1944 BGB vorgesehene Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beginnt für den minderjährigen Erben erst mit dem Zeitpunkt, zu dem der letzte von den gemeinsam Erziehungsberechtigten erstmals Kenntnis von dem Anfall und dem Grunde der Berufung erlangt hat. (Leitsatz des Gerichts).

Die 2007 verstorbene Erblasserin hinterließ aus erster Ehe vier Kinder, nämlich den kinderlos vorverstorbenen A, die während des Beschwerdeverfahrens ebenfalls verstorbene B sowie die Söhne C und D. Der zuletzt genannte Sohn D hat seinerseits zwei Kinder, nämlich die 1988 geborene F und den 2002 geborenen Sohn seiner Ehefrau F, den Beteiligten zu 2), den er adoptiert hat. In zweiter Ehe war die Erblasserin mit dem Beteiligten zu 1) verheiratet. Aus dieser Ehe ging der Sohn G hervor. G ist seinerseits Vater eines 2009 geborenen Kindes.

Am 09.10.2077 schlugen G, D und C das Erbe aus. Daraufhin erließ das Amtsgericht antragsgemäß einen Erbschein, wonach der Beteiligte zu 1) und B jeweils zur Hälfte Erben der Erblasserin seien.

Später erfuhr das Amtsgericht von den Nachkommen der die Erbschaft ausschlagenden G und D. Daraufhin zog das Gericht den erteilten Erbschein ein und informierte Frau F und Herrn D, letzteren als den Vater des Beteiligten zu 2), dass wegen der Ausschlagung des Herrn D die Erbschaft bei ihnen angefallen sein dürfte. Frau F erklärte daraufhin ihrerseits die Ausschlagung der Erbschaft mit am 09.12.2009 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz. Eine Ausschlagung für den Beteiligten zu 2), die seitens dessen Eltern am 01.03.2010 erklärt worden war, ging am 03.03.2010 bei Gericht ein.

Im Juli 2011 hat der Beteiligte zu 1) einen Erbschein beantragt, wonach er zur Hälfte sowie der Beteiligte zu 2) und B jeweils zu einem Viertel Erben der Erblasserin seien. Im Rahmen seiner Anhörung hat der Beteiligte zu 2) die Anfechtung der verspäteten Ausschlagung wegen Überschuldung des Nachlasses erklärt.

Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss im Wesentlichen ausgeführt, die Ausschlagung des Beteiligten zu 2) sei verspätet eingegangen und damit unwirksam.

Im Mittelpunkt dieser Entscheidung steht die Frage, ob die Eltern für den Beteiligten zu 2) noch am 01.03.2011 die Erbschaft ausschlagen konnten, obwohl die Mitteilung des Amtsgerichts über die mögliche Erbenstellung des minderjährigen Beteiligten zu 2) nur an einen Elternteil adressiert war.

Gemäß § 1944 BGB kann die Ausschlagung nur binnen sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt, erklärt werden. Bei einem Minderjährigen ist dabei nach h.M., der sich der Senat anschließt, nicht auf die eigene Kenntnis, sondern auf die Kenntnis des Vertretungsberechtigten abzustellen (BayObLG, RPfleger 1984, 403; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1944 Rdn. 6 m.w.Nw.). Dies sind im vorliegenden Fall D und F. Das Problem besteht nun darin, dass zwar D aufgrund des an ihn gerichteten Schreibens des Amtsgerichts vom 26.11.2009 spätestens im Dezember 2009 hinreichend sichere Kenntnis von der Berufung seines Sohnes zum Erben nach der Erblasserin hatte, nicht aber F als Mutter des Beteiligten zu 2). Kommt es allein auf seine Kenntnis an, wäre die erst Anfang März 2010 erfolgte Ausschlagung nach Ablauf der Ausschlagungsfrist und damit verspätet erfolgt.

Die Frage, ob für den Beginn der Ausschlagungsfrist die Kenntnis beider Eltern oder nur eines Elternteils erforderlich ist, ist umstritten. Die herrschende Auffassung hält die Kenntnis beider Eltern für erforderlich (vgl. LG Freiburg, BWNotZ 1993, 44; Siegmann/Höger, in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 1944 Rdn. 12). Nach anderer Meinung genügt für den Beginn der Frist die Kenntnis eines Elternteils (MünchKommBGB/Leipold, 5. Aufl., § 1944 Rdn. 14; offen gelassen von BayObLG, ZEV 2002, 283, 285).

Mit dieser Entscheidung schließt sich der Senat der h.M. an. Dabei tritt er zunächst der Auffassung entgegen, die dabei auf § 1629 I 2 zurückgreifen will (vgl. Muscheler, Erbrecht, Bd. II, Rdn. 2965). Diese Norm regele nur den Fall der gegenüber dem Kind abzugebenden Willenserklärungen, nicht aber die Frage, wann der Minderjährige Kenntnis von Tatsachen erhalten habe, die die Grundlage für die Entscheidung bilden, ob die Erbschaft ausgeschlagen werden soll oder nicht. Stattdessen will der Senat zwar auf den Rechtsgedanken des § 166 BGB zurückgreifen (so auch OLG Celle, FamRZ 2010, 836; a.A. Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1944 Rdn. 6), muss aber feststellen, dass auch § 166 BGB keine Klarheit hinsichtlich der hier maßgeblichen Frage, ob die Kenntnis beider Vertretungsberechtigten erforderlich ist, schafft. Deshalb stellt der Senat zur Beantwortung dieser Streitfrage auf den Normzweck des § 1944 BGB ab. Diese Vorschrift verfolge den Zweck – so der Senat -, dem Erben Gelegenheit zu geben, sich über den Bestand des Nachlasses zu unterrichten, um sich über die Annahme oder Ausschlagung schlüssig zu werden. Das Interesse der übrigen Nachlassbeteiligten, baldige Klarheit über die Erbenstellung zu erhalten, stehe diesem Normzweck gegenüber. § 1944 verlange daher eine Abwägung zwischen einer angemessenen Überlegungsfrist der Vertretungsberechtigten und dem Interesse des Rechtsverkehrs an einer schnellen Klärung der Rechtslage.

Der Senat gibt dabei dem Interesse des minderjährigen Erben den Vorzug und stellt deshalb auf die Kenntnis des zweiten Erziehungsberechtigten für den Beginn der Ausschlagungsfrist ab. Dafür spreche bereits, dass de lege ferenda die Frist von sechs Wochen allgemein als recht knapp bemessen angesehen wird und ein Beginn mit der Kenntnis des ersten Erziehungsberechtigten die Überlegungsfrist jedenfalls für den anderen Elternteil weiter verkürzen würde. Letztlich ausschlaggebend ist für den Senat jedoch, dass für die Ausschlagung eine Erklärung durch beide Eltern gemeinsam erforderlich ist. Daher könnten die Erziehungsberechtigten erst dann in die Überlegungsphase eintreten, wenn beide von ihnen Kenntnis von Erbfall und Berufungsgrund haben. Zugleich zeige sich an der verlängerten Ausschlagungsfrist des § 1944 III BGB bei einem Auslandsaufenthalt, dass der Rechtsverkehr auf die persönlichen Belange des ausschlagenden Erben Rücksicht zu nehmen habe. Damit habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass besonderen Schwierigkeiten bei der Klärung der Frage, ob die Erbschaft angenommen werden soll, Rechnung zu tragen ist. Eine solche Schwierigkeit besteht auch dann, wenn die Abstimmung zwischen mehreren Erziehungsberechtigten erforderlich ist, um zu einer gemeinsamen Ausschlagungserklärung zu gelangen. Dies führe zwar nicht zu einer längeren Frist, aber konsequenterweise zu einem mit Blick auf die Situation eines Volljährigen späteren Fristbeginn.

Der Senat sieht auch keinen Widerspruch zu der Auffassung, wonach etwa bei der Verjährungsfrist auf die Kenntnis nur eines Elternteils abzustellen ist (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1992, 181). Verhandlungen nur eines Erziehungsberechtigten könnten die Verjährung hemmen (§ 1629 I 4 BGB). Auch sei die Verjährungsfrist mit 3 Jahren deutlich länger bemessen als die nur sechswöchige Ausschlagungsfrist.

Abschließend teilt der Senat mit, dass er sich davon habe überzeugen können, dass die Mutter F bereits vorher Kenntnis erlangt habe. Diese Unaufklärbarkeit gehe zu Lasten des Beteiligten zu 1). Dieser trage für den Umstand, dass die Frist abgelaufen ist und damit das Ausschlagungsrecht des Beteiligten zu 2) weggefallen ist, die Feststellungslast (BGH, NJW-RR 2000, 1530).

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 03.07.2012 – 21 W 22/12

(Quelle: beck-fachdienst Erbrecht – FD-ErbR 2012, 336184 )