Sind außer dem möglichen Täter keine Tatzeugen vorhanden, so sind der Entscheidung über die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz die glaubhaften Angaben der Antrag stellenden Person zugrunde zu legen. Das geht aus einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.04.2013 hervor.

Die inzwischen 50-jährige Klägerin hatte 1999 Gewaltopferentschädigung beantragt. Sie gab an, von frühester Kindheit bis 1980 körperliche Misshandlungen und sexuellen Missbrauch im Elternhaus sowie in der vierten Klasse sexuellen Missbrauch durch einen Fremden erlitten zu haben. Darauf seien ihre psychischen Gesundheitsstörungen zurückzuführen. Der Antrag war bislang erfolglos.

Das Landessozialgericht konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Klägerin Opfer von Angriffen im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes geworden ist. Dabei stütze es sich unter anderem auf Zeugenaussagen und ein aussagepsychologisches Gutachten, das durch das eingeholte psychiatrische Gutachten nicht entkräftet worden sei.

Mit ihrer Revision machte die Klägerin geltend, dass § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung hätte Anwendung finden müssen, der eine Glaubhaftmachung ausreichen lasse. Denn es gebe für die von ihr angegebenen schädigenden Vorgänge keine Tatzeugen. Darüber hinaus seien aussagepsychologische Gutachten in diesem Zusammenhang ungeeignet.

Das BSG hat die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Es stellt zunächst klar, dass seelische Misshandlungen für sich allein nicht von dem maßgeblichen Begriff des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs erfasst werden. Körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch müssten grundsätzlich voll bewiesen sein.

Eine Ausnahme sehe § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vor. Nach dieser im Gewaltopferentschädigungsrecht anwendbaren Vorschrift seien unter bestimmten Voraussetzungen die Angaben des Antragstellers zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Das BSG legt diese Vorschrift dahin aus, dass sie auch heranzuziehen sei, wenn keine Tatzeugen vorhanden sind. Zeugen, die von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten, seien dabei nicht zu berücksichtigen. Ebenso wenig könne in diesem Zusammenhang eine Person, die als Täter beschuldigt werde, zu den Tatzeugen gerechnet werden, wenn sie eine schädigende Handlung bestreitet.

Aussagepsychologische Gutachten (sogenannte Glaubhaftigkeitsgutachten) seien zwar im sozialgerichtlichen Verfahren zulässige Beweismittel, so das BSG weiter. Das Gericht müsse jedoch für den Fall der Anwendung des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung den Sachverständigen bereits bei seiner Beauftragung darauf hinweisen, dass der nach dieser Vorschrift geltende Beweismaßstab der Glaubhaftmachung geringere Anforderungen stellt, als sie in einem aussagepsychologischen Gutachten normalerweise angewendet werden. Darüber hinaus seien die Beweisfragen – in Abstimmung mit dem Sachverständigen – entsprechend zu fassen. Da sich das Berufungsgericht an den genannten Maßstäben nicht orientiert habe, sei die Sache zur Nachholung fehlender Tatsachenfeststellungen zurückzuverweisen.

BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 VG 1/12 R

(Quelle: Beck online)