Eine tarifliche Ausschlussfrist kann ausnahmsweise durch Geltendmachung des Anspruchs vor dessen Entstehung gewahrt werden. Das kommt in Betracht, wenn die Erfüllung von konkreten gegenwärtigen und künftigen Ansprüchen auf einer bestimmten Berechnungsgrundlage verlangt wird und nur diese zwischen den Parteien streitig ist.

Der Kläger war Busfahrer bei der Beklagten. Auf sein Arbeitsverhältnis war aufgrund vertraglicher Vereinbarung der Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des privaten Personenverkehrs mit Omnibussen in Hessen (LTV) anzuwenden. Dieser regelte für den Kläger sowohl einen Stundenlohn von 9,66 EUR als auch einen „Stundenlohn gesamt“ (Stundenlohn zzgl. Zulagen) von 11,23 EUR. Der entsprechende Manteltarifvertrag (MTV) regelte in § 11 Zeitzuschläge, die auf Grundlage des „Stundenlohns“ berechnet werden sollten. § 21 des MTV enthielt Ausschlussfristen von 8 Wochen bzw. 3 Monaten nach Fälligkeit bzw. der Entstehung der Ansprüche.

Zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat sowie der zuständigen Gewerkschaft gab es seit 2007 Gespräche über die Grundlage für die Berechnung der Zeitzuschläge. Die Beklagte berechnete diese Zuschläge auf Grundlage des Stundenlohns von 9,66 EUR. Ende Januar 2008 überreichte der Kläger neben weiteren Arbeitnehmern der Beklagten ein vom Betriebsrat formuliertes Schreiben, in dem er u.a. geltend machte, dass die Zeitzuschläge auf Grundlage des „Stundenlohns gesamt“ berechnet werden müssten. Mit seiner Klage machte er die Differenzbeträge für den Lohn seit November 2007 geltend. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG ihr stattgegeben. Das BAG bestätigt die Entscheidung.

Das BAG stellt zunächst klar, dass als Grundlage für die Berechnung der Zeitzuschläge der „Stundenlohn gesamt“ heranzuziehen sei. Dies ergebe sich aus der Auslegung der entsprechenden tariflichen Regelungen.

Die Ansprüche des Klägers waren nicht wegen der Ausschlussfrist des § 21 MTV verfallen. Dem stehe nicht entgegen, dass die Ansprüche bei ihrer Geltendmachung zum Teil noch nicht entstanden waren. Zwar sei dies bei Ausschlussfristen grundsätzlich erforderlich. Eine Ausnahme bestehe jedoch, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage ein Anspruch aus einem bestimmten Sachverhalt hergeleitet werden könne. Dies sei der Fall, wenn ein bestimmter Anspruch jeweils aus einem ständig gleichen Grundtatbestand entstehe. Dann genüge die einmalige Geltendmachung auch für noch nicht entstandene Ansprüche. Dies entspreche auch der ständigen Rechtsprechung des BAG im Hinblick auf zukünftige Entgeltansprüche, die bereits mit Erhebung der Kündigungsschutzklage wirksam geltend gemacht würden. Im vorliegenden Falle handele es sich um eine Streitigkeit über die Berechnungsgrundlage und daher um den gleichen Grundtatbestand für die Vergütung. Eine monatsweise wiederholte Geltendmachung der Ansprüche des Klägers wäre eine bloße Förmelei und brächte der Beklagten keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.

Das Berufen auf die Ausschlussfrist sei zudem rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte habe seit 2007 Gespräche mit Betriebsrat und Gewerkschaft geführt. Spätestens seit der Geltendmachung der Ansprüche durch die Arbeitnehmer habe die Beklagte von der Forderung der Arbeitnehmer gewusst. Hätte sie die Geltendmachung als nicht ausreichend angesehen, hätte sie die Verhandlungspartner darauf hinweisen müssen. Sich nun auf die Ausschlussfristen zu berufen, sei rechtsmissbräuchlich.

BAG, Urteil vom 16.01.2013 – 10 AZR 863/11

(Quelle: Beck online)