Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament kann auch gegenüber einem testierunfähigen Ehegatten erklärt werden. Es genügt der Zugang der notariell beurkundeten Widerrufserklärung an einen für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellten Ersatzbetreuer, auch wenn dieser ein Abkömmling des Erblassers ist.

Mit gemeinschaftlichem handschriftlichem Testament vom 24.10.1999 setzten sich der Erblasser und seine Ehefrau, die Beteiligte A, gegenseitig zu Erben ein. Die gemeinsamen Kinder sollten nach dem Tod des Erstversterbenden der Höhe nach bestimmte Geldbeträge erhalten, der gemeinsame Sohn zusätzlich eine Immobilienfondsbeteiligung sowie einen Miteigentumsanteil zu 1/2 an einem im jeweils hälftigen Miteigentum der beiden Ehegatten stehenden Wohngrundstück.

Mit Beschluss vom 27.06.2012 ordnete das AG Schwabach die vorläufige Betreuung für den zwischenzeitlich erkrankten Erblasser an. Die vorläufige Betreuung umfasste u.a. den Aufgabenkreis der Vermögenssorge. Zur vorläufigen Betreuerin wurde die Ehefrau des Erblassers, die Beteiligte A, und zur Ersatzbetreuerin deren gemeinsame Tochter C, bestellt.

Mit notarieller Urkunde vom 02.08.2012 widerrief die Beteiligte A gegenüber dem Erblasser, vertreten durch dessen Ersatzbetreuerin C, die von ihr im gemeinschaftlichen Testament vom 24.10.1999 „getroffenen Verfügungen in vollem Umfang“. Frau C nahm diesen Widerruf in genannter notarieller Urkunde als Ersatzbetreuerin für den Erblasser an.

Am 16.09.2012 verstarb der Erblasser. Er hinterließ seine Ehefrau, die Beteiligte A, sowie die gemeinsamen Kinder B und C. Weitere gemeinsame Kinder des Erblassers sind ein am 29.10.1958 im Alter von 10 Tagen vorverstorbener Sohn des Erblassers sowie die am 23.02.2011 vorverstorbene Tochter E, welche ihrerseits einen Sohn, den am 26.11.1994 geborenen Beteiligten D, hinterließ.

Die Beteiligten A, B, C und D haben die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Erben gemäß der gesetzlichen Erbfolge ausweist, und zwar A zu 1/2, B, C und D zu jeweils 1/6. Zur Begründung führen sie aus, dass das gemeinschaftliche Testament vom 24.10.1999 wirksam widerrufen worden und eine weitere Verfügung von Todes wegen nicht vorhanden sei.

Das Nachlassgericht hat den Antrag der vier Beteiligten auf Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beteiligte C habe eine Erklärung, die von ihrer Mutter gegenüber ihrem Vater abzugeben war, für ihren Vater entgegengenommen und sei daher gemäß § 1795 BGB an der Vertretung ihres Vaters rechtlich gehindert gewesen. Dies gelte auch im Hinblick auf § 181 BGB, da sie sich selbst durch die Entgegennahme der Erklärung zur Miterbin mache, die sie nach der angefochtenen letztwilligen Verfügung nicht gewesen wäre. Zuletzt sei noch fraglich, ob ihr Handeln überhaupt von der einstweiligen Anordnung über die Betreuerbestellung erfasst gewesen sei, weil sie darin zur Ersatzbetreuerin bestellt worden ist.

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte A durch ihren Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde eingelegt. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Nürnberg vorgelegt.

Im Gegensatz zum Nachlassgericht gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Beteiligte A ihre im gemeinschaftlichen Testament vom 24.10.1999 getroffenen wechselbezüglichen Verfügungen wirksam widerrufen habe und deshalb gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser eingetreten sei. Die Beteiligte A habe formgerecht ihre wechselbezüglichen Verfügungen in dem eigenhändigen gemeinschaftlichen Testament widerrufen. Die empfangsbedürftige Willenserklärung sei dem zu dieser Zeit testierunfähigen Erblasser zu dessen Lebzeiten auch wirksam zugegangen (§§ 2296 II, 2271 I BGB), und zwar durch Zugang bei der Ersatzbetreuerin, der Beteiligten C.

Für die Wirksamkeit des Widerrufs könne es dahinstehen, ob der Erblasser damals noch geschäfts- bzw. testierfähig war. Grundsätzlich könne nämlich ein gemeinschaftliches Testament und die in diesem enthaltenen Verfügungen auch gegenüber einer geschäfts- bzw. testierunfähigen Person widerrufen werden, auch wenn dieser keine neue Testiermöglichkeit mehr habe. Anderenfalls würde das nach dem Gesetz bestehende Widerrufsrecht und damit die Testierfähigkeit des widerrufswilligen Ehegatten praktisch aufgehoben und ihm die Möglichkeit genommen, sich aus der erbrechtlichen Bindung zu lösen. Im Übrigen sei bei ähnlicher Interessenlage durch § 2282 II BGB die Möglichkeit der Lösung vom Erbvertrag auch bei Geschäftsunfähigen eines Vertragsschließenden ausdrücklich zugelassen.

Der Widerruf gegenüber einem testierunfähigen Ehegatten erfordere den Zugang der Erklärung beim Betreuer als dessen gesetzlichen Vertreter (§ 131 BGB). Dies setze voraus, dass er für den erforderlichen Aufgabenkreis bestellt sei. Nach Auffassung des Senats genügt es dazu, dass ihm die Aufgabe der Vermögenssorge übertragen worden ist.

Die Beteiligte C – so der Senat weiter – habe aufgrund ihrer Bestellung zur Ersatzbetreuerin als gesetzliche Vertreterin des Erblassers (§ 1902 BGB) die Widerrufserklärung der Beteiligten A auch rechtswirksam entgegennehmen können. Sie sei gemäß § 1899 IV BGB in der Weise bestellt worden, eine Angelegenheit des Betreuten besorgen zu dürfen, wenn die Beteiligte A verhindert sei. Dieser Fall liege hier vor, da die den Widerruf erklärende Hauptbetreuerin gemäß §§ 1908i I, 1795 I Nr. 1, 181 BGB an der Vertretung ihres Ehemannes zum Empfang der Widerrufserklärung gehindert war. Das Tatbestandsmerkmal der Verhinderung umfasse nicht nur die tatsächliche, sondern auch die rechtliche Verhinderung. Unerheblich sei, dass die Beteiligte C im Beschluss des Amtsgerichts nicht als Ergänzungsbetreuerin bezeichnet war. Die gewählte Bezeichnung „Ersatzbetreuerin“ beinhalte den Fall der Verhinderung der Hauptbetreuerin.

Der Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung eines Ehegatten bewirke nach § 2270 I BGB, dass auch die entsprechenden Verfügungen des anderen Ehegatten unwirksam werden. Mangels Vorhandenseins einer wirksamen letztwilligen Verfügung sei gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser eingetreten und der beantragte Erbschein zu erteilen.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.06.2013 – 15 W 764/13

(Quelle: beck-fachdienst Erbrecht – FD-ErbR 2013, 348218)