Bei der Berechnung des Rückkaufswertes von Lebensversicherungsverträgen, die vor dem 31.12.2007 abgeschlossen wurden, findet die Vorschrift des § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG keine unmittelbare Anwendung. Klauseln, die in diesem Zusammenhang den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligen, werden durch eine ergänzende Vertragsauslegung angepasst. Danach soll nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Versicherungsnehmer die versprochene Leistung erhalten, mindestens jedoch einen Betrag in Höhe der Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals.

Die Parteien streiten um die Höhe des dem Kläger zustehenden Rückkaufswerts nach der Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages. Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Kapitallebensversicherung mit Versicherungsbeginn zum 01.12.2004. Diese kündigte er mit Schreiben vom 21.01.2009. Die Beklagte zahlte ihm zum Abrechnungsstichtag 01.02.2009 nach Abzug eines Beitragsrückstands von 691,10 EUR einen Rückkaufswert von 561,94 EUR aus. Am 25.10.2010 erklärte der Kläger den Widerspruch gemäß § 5a VVG a. F. Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst die Rückzahlung aller von ihm geleisteten Beiträge zuzüglich 7% Anlagezinsen abzüglich des bereits geleisteten Rückkaufswerts, hilfsweise die Zahlung eines Mindestrückkaufswerts, begehrt.

Das Landgericht hatt die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hatte die Beklagte Auskunft dahin erteilt, dass am 01.02.2009 die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals 2.340,80 EUR betragen habe. Unter Berücksichtigung des Prämienrückstands sowie des bereits geleisteten Rückkaufswerts hat die Beklagte einen verbleibenden Betrag von 1.057,10 EUR errechnet, den sie nebst Zinsen an den Kläger ausgezahlt hat.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger einen Anspruch auf Zahlung eines nach § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG berechneten Rückkaufswerts. Der Kläger beantragt die Feststellung, dass die Beklagte ihm einen Mindestrückkaufswert in Höhe des zum 01.02.2009 berechneten Deckungskapitals der Versicherung schuldet, unter gleichmäßiger Verteilung der angesetzten Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre abzüglich der in zweiter Instanz geleisteten 1.057,10 EUR, des vorab gezahlten Rückkaufswerts in Höhe von 586,68 EUR und des Prämienrückstands in Höhe von 691,10 EUR.

Der Kläger hat nach Auffassung des BGH keinen Anspruch darauf, dass der Rückkaufswert des von ihm gekündigten Lebensversicherungsvertrages unter Anwendung der Grundsätze des § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG berechnet wird. Für die hier zu beurteilende sogenannte zweite Klauselgeneration der Jahre 2001 bis 2007 könne die durch die Unwirksamkeit der Bedingungen aus materiellen Gründen entstandene Vertragslücke nicht durch unmittelbare Anwendung des § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG geschlossen werden. Der Gesetzgeber habe in Art. 4 Abs. 2 EGVVG bestimmt, dass auf Altverträge anstatt des § 169 VVG die Vorschrift des § 176 VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung weiter anzuwenden ist.

Ohne Erfolg macht die Revision geltend, § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG sei gleichwohl über § 306 Abs. 2 BGB anzuwenden. Hiernach richtet sich der Inhalt des Vertrages – soweit AGB nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind – nach den gesetzlichen Vorschriften. Aus diesem Grund sei § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG anzuwenden und nicht auf die Rechtsprechung des Senats zur ergänzenden Vertragsauslegung zuzugreifen.

Diese Auffassung trifft nach Ansicht des BGH nicht zu. § 306 Abs. 2 BGB schließe nach ständiger Rechtsprechung des BGH eine ergänzende Vertragsauslegung nicht aus. Nach der ausdrücklichen Regelung des Art. 4 Abs. 2 EGVVG und dem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers soll die Vorschrift gerade nicht rückwirkend zur Anwendung kommen, sondern es soll bei der Anwendung des bis zum 31.12.2007 geltenden Rechts «in seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung» bleiben, so der BGH (mit Hinweis auf BT-Drucks. 16/5862 S. 100 f.). Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers sollte damit für Altverträge auch die Rechtsprechung des Senats gemäß Urteil vom 12.10.2005 maßgeblich bleiben, mit der der Senat die durch die Unwirksamkeit der Klauseln über die Verrechnung der Abschlusskosten entstandene Vertragslücke durch eine ergänzende Vertragsauslegung des Inhalts geschlossen hat, dass der Versicherungsnehmer die versprochene Leistung erhält, mindestens jedoch einen Betrag in Höhe der Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals (BGH, Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, r+s 2005, 519). Alle bis Ende 2007 geschlossenen Verträge sollen nach denselben Grundsätzen behandelt werden und erst für Verträge ab 2008 komme es zur Anwendung des neuen VVG.

BGH, Urteil vom 11.09.2013 – IV ZR 17/13

(Quelle: beck-fachdienst Versicherungsrecht – FD-VersR 2013, 351341)